Dr. Marlis Wiebogen-Wessely, Dipl. ECVS

Chirurgie und Orthopädie

Bandscheibenvorfall

Zusammenfassung

Bandscheibenvorfälle kommen gehäuft bei kleinen Hunderassen vor, wenn auch große Rassen betroffen sein können. Die Symptome reichen von reiner Schmerzhaftigkeit bis hin zu schweren Lähmungserscheinungen. Die Schwere der neurologischen Ausfälle bzw. die Größe des Vorfalles sind entscheidend, ob eine konservative Therapie oder doch eine OP sinnvoll ist.

Dackellähme – Wer ist häufiger betroffen?

Bei der Ursache für einen Bandscheibenvorfall ist die Größe und Rasse des Hundes zu berücksichtigen. Besonders chondrodystrophe (zwergwüchsige) Rassen neigen zu Bandscheibenvorfällen. Der Dackel gilt unter diesen Rassen als Paradebeispiel – nicht umsonst ist „Dackellähme“ ein anderes Wort für einen diese Erkrankung. Zusammen mit der Zwergwüchsigkeit werden auch gewisse Knorpelschwächen der Bandscheibe vererbt, wodurch diese für Vorfälle prädisponiert sind. Am häufigsten treten Bandscheibenvorfälle bei kleinen Rassen am Übergang von der Brust- zur Lendenwirbelsäule auf.

Doch auch größere Rassen können Probleme mit den Bandscheiben haben. Dobermänner und deutsche Doggen haben häufig Probleme an der Halswirbelsäule. Der Begriff Wobbler-Syndrom (zervikale Spondylomyelopathie) beschreibt die Problematik bei diesen Rassen. Der Schäferhund und andere große Rassen haben häufig Bandscheibenvorfälle am Übergang von der Lendenwirbelsäule zum Kreuzbein. Dieser Symptomkomplex wird unter dem Ausdruck Cauda Equina Syndrom zusammengefasst.

Symptome erkennen

Welche Symptome bei einem Bandscheibenvorfall auftreten hängt mit der Schwere des Vorfalles, als auch mit der Lokalisation in der Wirbelsäule zusammen. Generell ist eine mehr oder weniger starke Schmerzhaftigkeit der Wirbelsäule das erste Anzeichen für eine Kompression vom Rückenmark. Diese Schmerzen können jedoch auch sehr unspezifisch sein, sodass diese manchmal auch wie Bauchschmerzen oder eine Lahmheit aussehen können. Mit zunehmender Schwere kommen neurologische Ausfallserscheinungen dazu welche von einer leichten Taubheit eines Fußes bis zur kompletten Lähmung reichen können. Bei einem Bandscheibenvorfall in der Brust- oder Lendenwirbelsäule sind in der Regel nur die Hinterbeine betroffen, während bei einem Halsbandscheibenvorfall alle Füße betroffen sein können. Auch Kot- und Harninkontinenz können auftreten.

Grad Symptome
1 Schmerzen
2 Schmerzen und neurologische Ausfälle, wie Lähmungen, Ataxie, Gefühlsverlust
3 Schwere Lähmungserscheinungen und Verlust der Gehfähigkeit
4 Komplette Lähmung bei noch vorhandenem tiefen Schmerzempfinden
5 Komplette Lähmung ohne jegliches Schmerzempfinden

Die richtige Diagnose stellen

Bei bestimmten Rassen mit akuten Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule steht die Diagnose Bandscheibenvorfall schnell auf der Liste der Differentialdiagnosen. Bei zusätzlichen neurologischen Ausfällen, wie einem Taubheitsgefühl an den Hinterfüßen, Zehenschleifen oder Verlust der Stehfähigkeit ist ein BSV meist die Ursache. Ein eingehendes Vorgespräch mit einer vollständigen neurologischen Untersuchung hilft dabei, die richtige Diagnose zu stellen. Es gibt eine Reihe von Erkrankungen, welche ebenfalls zu neurologischen Ausfällen führen können.

Liegen neurologische Ausfälle vor, ist eine weitere Abklärung sinnvoll. Dies kann mittels Röntgen, CT oder MRT erfolgen. Meist kann erst durch Schnittbildverfahren (CT, MRT) das Ausmaß des Bandscheibenvorfalles eingeschätzt werden, da Bandscheiben selbst am Röntgen nicht sichtbar sind. So kann nicht nur der Vorfall besser lokalisiert werden, sondern auch die Entscheidung getroffen werden, ob eine OP notwendig ist. In zweifelhaften Fällen können noch weitere Untersuchungen durchgeführt werden, welche aus einer Untersuchung des Liquor cerebrospinalis (Hirnwasser) oder einer Myelographie bestehen können.

Behandlung eines Bandscheibenvorfalles

Konservative Behandlung: ohne OP

Leichte Bandscheibenvorfällen, welche „nur“ zu Schmerzen führen und keine oder nur geringe Nervenausfälle vorliegen, können konservativ therapiert werden. Wichtigster Punkte ist dabei die Schonung über mehrere Wochen, evtl. mit Boxenruhe. In dieser Zeit kann sich die Bandscheibe wieder stabilisieren indem sich eine Fibrose ausbildet. In diesem Zeitraum kann auch eine gezielte Schmerztherapie verabreicht werden. Pflanzliche Wirkstoffen über Entzündungshemmer bis hin zu Opioiden stehen hierfür zur Verfügung. Der Patient sollte in dieser Zeit jedoch genau beobachtet werden, da ein weiteres Fortschreiten des Vorfalles möglich ist. Auch ein Schnittbildverfahren (CT / MRT) kann bei der Entscheidung helfen, ob man eine Operation vermeiden kann.

Chirurgische Behandlung: in einigen Fällen ist eine OP notwendig

Bestehen deutliche neurologische Ausfälle oder kann der Patient gar nicht mehr aufstehen, ist eine umgehende Operation notwendig, da sonst im Rückenmark irreversible Schäden entstehen können. Welche Operation notwendig ist hängt hauptsächlich von der Lokalisation des Vorfalles ab. Im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule ist in den meisten Fällen eine Hemilaminektomie indiziert. Dabei wird die Wirbelsäule seitlich aufgefräst und so die vorgefallene Bandscheibe herausgeräumt. Bei Halsbandscheibenvorfälle ist meistens ein Ventral-Slot die Operationsmethode der Wahl. Dabei wird die Wirbelsäule von unten aufgefräst und so die Bandscheibe zum Großteil entfernt. Nur in bestimmten Fällen wird die Wirbelsäule von oben eröffnet, wie z.B. bei Bandscheibenvorfällen am lumbosakralen Übergang und bei seitliche Vorfällen am Hals.

Physiotherapie: Übungen um die Heilung zu unterstützen

Physiotherapie ist nach einer Bandscheiben-OP anzuraten. Bei leichten Verläufen ist nicht zwingend eine Physiotherapie nötig, kann aber eine deutliche Unterstützung darstellen und zu einer schnelleren Rekonvaleszenz beitragen. Bei Lähmungen muss eine Physiotherapie erfolgen bis wieder eine ausreichende Sensibilität hergestellt ist. Anfangs muss der Patient immer wieder aufgestellt werden um die Muskulatur, welche zum Stehen notwendig ist, anzuregen. PROM-Übungen um die Beweglichkeit zu erhalten, bzw. die Muskulatur anzuregen sind ebenfalls notwendig. Wenn der Patient mehr oder weniger stehfähig ist, kann mit einer Unterwassertherapie und Übungen zur Gewichtsverlagerung begonnen werden. Radfahren im Stehen oder Liegen bzw. leichtes Zwicken in die Zwischenzehenhaut um ein Anziehen des Fußes zu erreichen, stellen die einfachsten Übungen dar, die auch vom Patientenbesitzer durchgeführt werden können.

Prognose und Genesungszeit: Heilungschancen beim Bandscheibenvorfall

Der Verlauf nach einer Operation wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Patienten mit geringen Lähmungserscheinungen erholen sich normalerweise sehr rasch von der Operation. Bei schweren Lähmungen kann es auch Wochen bis hin zu Monaten dauern. Hier wird Geduld jedoch häufig belohnt. Besteht eine komplette Lähmung über längere Zeit (hier können auch schon einige Stunden genügen) findet eine Schädigung der Nervenzellen im Rückenmark statt, welche nicht mehr behoben werden kann. Besteht eine komplette Lähmung ohne tiefem Schmerzempfinden länger als 48 Stunden, ist die Prognose auch mit einer Operation sehr schlecht.

Übernimmt die Tierkrankenversicherung die Kosten für die Operation

Gewöhnlich werden die Kosten von der Versicherung übernommen. Um sicher zu gehen ist es ratsam beim Versicherer nachzufragen.

Quellen

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